
Wolf Haas Wackelkontakt
„Wie wurde dieses Buch geschrieben?“ – Eine Literaturrunde über Wolf Haas’ literarisches Puzzle
Wenn ein Roman sich selbst zum Thema macht, wenn er sich windet, kringelt, in sich zusammenfällt und zugleich darüber reflektiert, dass er genau das tut – dann sitzen wir mittendrin: in der Metaebene. Unsere Literaturrunde hat sich dieses Mal mit einem Werk von Wolf Haas beschäftigt, das weit mehr ist als eine einfache Geschichte. Es ist ein rekursiver Roman, ein literarisches Kaleidoskop, das den Prozess des Erzählens selbst zur Bühne macht. Und was für eine Bühne das ist!
Der Roman spielt mit den Erwartungen der Lesende – und zwar nicht nur ein bisschen, sondern konsequent, elegant und mit einem feinen Humor, der so typisch für Haas ist und doch ganz anders. Wer, wie ich, bereits mehrere Romane von ihm kennt, hat eine gewisse Erwartung an Sprachwitz, Ironie und diese österreichisch-melancholische Leichtigkeit. Diese Erwartungen wurden nicht erfüllt – sie wurden übertroffen. Denn Haas bricht in diesem Buch mit seinem eigenen Stil und schafft etwas völlig Neues, ohne dabei seine Handschrift zu verlieren.
Was uns als Lesegruppe besonders fasziniert hat, ist die Art und Weise, wie der Text sich seiner selbst bewusst ist. Die Erzählstruktur verweist auf sich selbst, Figuren reflektieren ihre eigene Existenz, der Autor schaltet sich kommentierend ein – und manchmal scheint es, als würde der Text selbst überlegen, wie er weitergehen will. So entsteht eine Schleife, ein Spiel mit dem „Wie“, das genauso spannend ist wie das „Was“.
Zwei Geschichten laufen gleichzeitig, durchdringen sich, überlagern sich – Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und vermeintliche Realität verschwimmen. Es ist, als würden wir einem literarischen M.C. Escher beim Schreiben zusehen: Treppen führen ins Nichts, Figuren drehen sich im Kreis und alles wirkt gleichzeitig klar und vollkommen verrückt. Das Ordnungssystem des Romans ist eines, das sich der Logik entzieht, oder besser gesagt, das eine eigene Logik aufstellt, die komisch und genial zugleich ist.
Der Roman stellt die Frage: Wie entsteht eigentlich Literatur? Ist es Genie? Harte Arbeit? Oder beides? Die Konstruktion ist so präzise, so kühn, dass die Lesenden unweigerlich ins Grübeln gerät – und zugleich lacht. Denn der Humor ist nach wie vor da, nur auf einer neuen Ebene. Ein literarisches Puzzle, das uns nicht nur unterhält, sondern zum Mitdenken, Mitkonstruieren, ja fast zum Mitschreiben einlädt.
Die Themen sind gross: Tod, Erinnerung, die Macht der Erzählung, aber nie schwerfällig. Alles bleibt zugänglich, oft leichtfüssig, manchmal melancholisch und immer durchdrungen von einer tiefen Lust am Erzählen. Dieses Buch ist eine Einladung, die Idee von Geschichten neu zu denken. Können Figuren sich selbst beeinflussen? Kann eine Geschichte sich selbst schreiben? Wer erzählt hier eigentlich wen?
Unsere Literaturrunde am 2. April war sich einig: Ein mutiger, kluger, witziger Roman, der uns beeindruckt hat – nicht nur durch Inhalt, sondern auch durch seine Form. Ein Roman, der uns mit einem Augenzwinkern daran erinnert, dass Kunst möglich macht, was die Wirklichkeit nicht immer erfüllen kann. Absolute Empfehlung!